Welcher Patient muss zum internistischen Rheumatologen – und wie bekomme ich ihn schnell dort hin?
Der Begriff „Rheuma“ hat sich zwar im Volksmund eingebürgert, dahinter verbirgt sich jedoch eine Vielzahl unterschiedlicher Erkrankungen, die die gesamte Bandbreite an Prognosen mit sich tragen und zu Co-Morbiditäten führen können, die sich von banalen Erkrankungen bis hin zu Erkrankungen erstrecken, die zum Verlust der Arbeitsfähigkeit führen und somit für den Patienten in seiner gesamten Lebenskonzeption bedrohlich sind.
Hinter „Rheuma“ verbergen sich Krankheiten, die aggressiv behandelt werden müssen oder therapeutisch eher zurückhaltend behandelt werden dürfen. Den Begriff des summarischen „Rheuma“ gibt es somit nicht, es existieren sehr wohl Symptome, die man als „Rheuma“ versteht. Hier führen natürlich Weichteilschmerzen wie Gelenkschmerzen und Muskelschmerzen, darüber beschäftigen uns als internistische Rheumatologen multiple Symptome des ganzen Körpers, die auf organübergreifende, systemische, inflammatorische Erkrankungen (Kollagenosen, Vaskulitiden, rekurrente Fiebersyndrome, autoinflammatorische Syndrome, Amyloidose etc.) hinweisen können.
Das Immunsystem als verursachendes Organ kennt, darf keine Grenzen kennen! Sie sehen, die Frage „Was ist Rheuma?“ kann so einfach nicht beantwortet werden. In diesem einleitenden Kapitel wollen wir Ihnen jedoch einige Werkzeuge an die Hand geben, bei Gelenkschmerzen zunächst eine Arthritis von einer Arthrose zu unterscheiden (siehe Tabelle 1). Patienten bei denen Sie eher eine Arthrose vermuten, sollten dem Orthopäden vorgestellt werden, Patienten mit einer Arthritis müssen immer von einem internistischen Rheumatologen gesehen werden. Die häufigsten Krankheitsbilder unter dem Kapitel „Arthritis“ ist die Rheumatoide Arthritis (chronische Polyarthritis) und die Psoriasisarthritis, bei den entzündlichen Wirbelsäulenerkrankungen am prävalentesten die ankylosierende Spondylitis (M. Bechterew) oder auch hier wieder die Psoriasis-Spondyloarthritis.
Falls Sie uns in Ihrer Vordiagnostik helfen wollen und uns argumentativ – bei dem leider vorhandenen großen Engpass an Terminen – überzeugen wollen, dass wir Ihren Patienten schnell sehen, könnten Sie bei einer vermuteten Polyarthritis das CRP, den Rheumafaktor und die CCP-AK (ACPA) vorbestimmen, bei einer vermuteten Spondyloarthritis das CRP und den genetischen Marker HLA-B27 (Vorsicht: Patient muss sich schriftlich mit der Genbestimmung einverstanden erklären!). Noch hilfreicher wäre beim Verdacht auf eine Spondyloarthritis die Kernspindarstellung mit Kontrasmittel der Ileosakralgelenke mit Frage nach Sakroileitis, denn dies ist das sensitivste Instrument, eine vermutete entzündliche Wirbelsäulenerkrankung auch als solche zu definieren.
Tabelle 2 soll Ihnen helfen, von den mannigfaltigen Symptomen systemisch entzündlicher rheumatischer Erkrankungen (Kollagenosen, Vaskulitiden) zur vermuteten Diagnose zu kommen. In Ihrer Vordiagnostik hilfreich wären hier die antinucleären Antikörper oder – bei den Vaskulitiden – die ANCA-Titer. Bei positiven Befunden hätten Sie starke Argumente, den Patienten schnell in einer unserer Ambulanzen oder Kliniken vorgestellt zu bekommen.
Jeder Patient mit chronisch erhöhtem CRP sollte einem internistischen Rheumatologen vorgestellt werden mit der Frage nach der Ursache der Entzündung, Ausnahme ist hier das metabolische Syndrom eines adipösem Patienten, hier ist das (meist nicht dramatisch erhöhte) CRP häufig durch die Infiltration der Makrophagen in das Fettgewebe verursacht.
Jeder Patient mit rekurrentem Fieber muss selbstverständlich ebenfalls zum internistischen Rheumatologen, es könnte sich hier um eine genetisch determinierte proinflammatorische Erkrankung handeln, typische Beispiele sind hier das rekurrente Mittelmeerfieber, der M. Still (des Kindes, des Erwachsenen), das Hyper-IGD-Syndroms, das TRAPS-Syndrom und viele andere mehr, dies sind jedoch Raritäten. Für diese Patienten wurde im Universitätsklinikum Heidelberg eine Spezialsprechstunde eingerichtet. Besonderer Beachtung bedarf jeder Patient mit chronischer entzündlich-rheumatischer Erkrankung, da häufiger Herzinfarkte und Schlaganfälle, selten eine Amyloidose im Rahmen der chronischen Entzündungsreaktion entstehen kann, auch hierzu bietet das Universitätsklinikum eine Spezialsprechstunde im Amyloidosezentrum an.
Tabelle 1: Unterscheidungskriterien Arthritis – Arthrose
Arthritis | Arthose | |
Schmerzen in Ruhe | ja | nein |
Besserung durch Bewegung | häufig | selten |
Schmerzmaximum | Morgens in Ruhe |
abends bei Belastung |
Morgensteifigkeit | ja, länger als 1h | Warmlaufschmerz, 5-15 Min. |
Anlaufschmerz | selten | ja |
Besserung durch Wärme | selten | häufig* |
Weiche Gelenkschwellung | ja | nein* |
Knöcherne Gelenkverbreiterung | nein | möglich |
Schmerzzunahme | Tage bis Wochen | Monate bis Jahre * |
* Ausnahme: aktivierte Arthrose
Tabelle 2: Anamnestische Angaben bei Kollagenosen und Vaskulitiden: vom Symptom zur Diagnose
Leitsymptom | Krankheitsentität |
Aborte nach 10. SSWoche | Antiphospholipid-Ak-Syndrom |
Adnexitis | Polyarteriitis nodosa |
Allergische Diathese | Churg-Strauss-Syndrom |
Alopezia areata | Systemischer Lupus Erythematodes |
Angina abdominalis | Polyarteriitis nodosa |
Apoplexie | Antiphospholipid-Ak-Syndrom |
Arthralgien/Arthritiden | unspezifisch |
Amaurosis fugax | Arteriitis temporalis |
Claudicatio | Riesenzellarteriitis/Takayasu-Arteriitis, Polyarteriitis nodosa |
Darmwandeinblutungen | Purpura Schönlein-Henoch |
Endokarditis-bedingte Dyspnoe | Systemischer Lupus Erythematodes |
Erytheme über den Fingerkuppen | Dermatomyositis |
Erythema nodosum | M. Behcet |
Gesichtserytheme | Systemischer Lupus Erythematodes, Dermatomyositis |
Hautindurationen | Sklerodermie |
Hodenschmerzen | Polyarteriitis nodosa |
Konjunktivitis | Sjögren-Syndrom, M. Wegener, Kawasaki-Syndrom |
livedo | Antiphospholipid-Ak-Syndrom |
Madonnenfinger | Sklerodermie |
Masseterschmerzen beim Kauen | Polymyalgia rheumatica |
Mukosale Ulzera | Systemischer Lupus Erythematodes, M. Behcet |
Myalgien | Dermato-, Polymyositis, Polymyalgia rheumatica |
Otitis media | M. Wegener |
Palmar-/Plantarerythem | Kawasaki-Syndrom |
Perikarditis-bedingte Dyspnoe | Systemischer Lupus Erythematodes |
Petechien | Systemischer Lupus Erythematodes, leukozytoklastische Vaskulitis |
Photosensibilität | Systemischer Lupus Erythematodes |
Pleuritis | Systemischer Lupus Erythematodes |
Polyneuropathie | Polyarteriitis nodosa, Churg-Strauss-Syndrom |
Proteinurie | Allgemein Kollagenosen/Vaskulitiden mit Nierenbeteiligung |
Raynaud-Phänomen | Allgemein Kollagenosen |
Rhagaden (z.B. Fingerkuppen) | Sklerodermie |
Schläfenkopfschmerzen | Arteriitis temporalis |
Sicca-Symptome | M. Sjögren |
Sinusitis | M. Wegener |
Subglottische Stenose | M. Wegener |
Thrombose | Antiphospholipid-Ak-Syndrom |
Transitorisch-ischämische Attacke | Antiphospholipid-Ak-Syndrom |
Uveitis | M. Behcet u.v.a.m. |
Prof. Dr. Hanns-Martin Lorenz
UniversitätsKlinikum Heidelberg
ACURA Rheumazentrum Baden-Baden
Auswirkungen der rheumatischen Erkrankungen hinsichtlich Arbeitsfähigkeit und Selbstversorgung
Je nach der vorliegenden rheumatischen Erkrankung und deren Schwere hat sie eventuell entscheidenden Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit, auf die Möglichkeit der häuslichen Selbstversorgung usw. Die sogenannten entzündlichen Gelenkerkrankungen waren früher die häufigsten Ursachen der Frühberentung, durch die optimierte Therapie lässt sich dies heute häufig bei konsequenter Durchführung der Behandlung verhindern. Hierbei ist jedoch auch die Mitarbeit der Patienten dringend notwendig.
Das Ziel einer Rheumabehandlung wird deshalb sein, die Leistungsfähigkeit des Rheumatikers so lange wie möglich zu erhalten. Dazu bedarf es aber auch des Willens und der Einsicht des Patienten. Neben den Erfolgen der ärztlichen Behandlung mit dem Ziel, die Krankheitsentwicklung so gut wie möglich aufzuhalten, gibt es noch viele Möglichkeiten, die Leistungsfähigkeit, also die Arbeitsfähigkeit im Beruf und die Fähigkeit zur Ausübung der Hausarbeit und zur Selbstversorgung zu Hause zu erhalten. Durch die optimierte Therapie ist die Frühberentung heutzutage in der Regel gar nicht mehr nötig. Dennoch sind die Akutversorgung der Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen sowie die Rehabilitationsmaßnahmen immer noch notwendig, um nach erfolgreicher Therapie des akuten Schubes die Einsatzfähigkeit des Patienten auch langfristig zu erhalten und gewährleisten.
Kontakt
Rheumazentrum-Heidelberg
Medizinische Klinik (Krehl-Klinik)
Prof. Dr. med. H. M. Lorenz
Im Neuenheimer Feld 410
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