Polymyalgia Rheumatica

Bei der Polymyalgia rheumatica handelt es sich um ein Syndrom, welches mit Muskelschmerzen, Steifigkeit und teilweise auch Schwäche der Schultergürtelmuskulatur, der Nackenmuskulatur sowie der Beckenmuskulatur einhergeht. Die Polymyalgia rheumatica kann im Rahmen einer Riesenzellarteriitis auftreten (bis zu 15% der Patienten haben bioptisch eine Arteriitis temporalis), meistens kommt die Polymyalgia rheumatica jedoch unabhängig von einer Arteriitis temporalis vor. Bei Polymyalgie-Patienten mit kranialer Symptomatik (steroidsensible Kopfschmerzen, Schmerzen beim Kauen, stechende Schmerzen in der Zunge oder im Pharynx, flüchtige Sehstörungen, neue Ohrgeräusche) ist jedoch eine gleichzeitige Arteriitis temporalis wahrscheinlich. Umgekehrt haben ca. 60% der Patienten mit einer Arteriitis temporalis klinisch auch eine Polymyalgia rheumatica.
Polymyalgia rheumatica und Arteriitis temporalis werden von vielen Autoren als unterschiedliche Ausprägung ein und derselben Erkrankung oder zumindest als Erkrankungen mit überlappender klinischer Symptomatik gesehen.

Epidemiologie

Die Polymyalgia rheumatica ist selten bei Menschen, die jünger als 50 Jahre sind, deshalb ist die Diagnose in dieser Altersgruppe mit Vorsicht zu stellen. Die Häufigkeit ist in Nordeuropa mit einer Inzidenz von ca. 50 pro 100.000 Personen pro Jahr deutlich höher als in Südeuropa (ca. 10 Fälle pro 100.000 Einwohner pro Jahr). Die Inzidenz der Arteriitis temporalis ist niedriger, in Nordeuropa beträgt sie ca. 15 bis 20 Fälle pro 100.000 Einwohner, in den südlichen Ländern ca. 6 Fälle pro 100.000 Einwohner. In der afroamerikanischen Bevölkerung ist die Arteriitis temporalis eine Rarität.

Ätiologie und Pathogenese

Die Ursache der Polymyalgia rheumatica wie auch der Riesenzellarteriitis und der Arteriitis temporalis ist unklar. Virale Infektionen sowie Chlamydien und Mykoplasmen wurden als Auslöser diskutiert, diese Studien konnten aber bis dato nicht allgemein bestätigt werden. Manche Autoren beschrieben jahreszeitliche Häufungen, die ebenfalls als Hinweise für einen „environmental factor“ gewertet wurden. Pathophysiologisch kommt es zu einer unspezifischen Steigerung der Immunantwort, mit Produktion inflammatorischer Zytokine, insbesondere Interleukin-1, TNF und Interleukin-6. Dies erklärt auch die entzündlichen Laborveränderungen mit erhöhten CRP-Spiegeln, Akute-Phase-Proteinen, wie Haptoglobin, und hoher Blutsenkung. Weitere Laborveränderungen können eine Anämie, eine Thrombozytose, eine Verminderung des Serum Eisens bei gleichzeitig erhöhtem Ferritin sowie eine erhöhte Alk. Phosphatase sein. Spezifische Laborveränderungen sind bis dato nicht bekannt.

Klinik

Die Patienten berichten häufig über ziehende Muskelschmerzen, die vor allem die Nackenmuskeln, die Schultergürtelmuskeln, Oberarmmuskeln, seltener auch die Muskeln des Beckengürtels und der Oberschenkel betreffen. In manchen Fällen bestehen auch Beschwerden der paravertebralen Muskulatur. In typischen Fällen ist das Verteilungsmuster symmetrisch, und der Beginn der Erkrankung ist abrupt. Die meisten Patienten berichten über Beschwerden, die schon in der Nacht beginnen und frühmorgens am stärksten auftreten, oft haben die Patienten morgens, zumindest bei schwereren oder über einen längeren Zeitraum unbehandelten Fällen eine ausgeprägte Schwäche der Schultergürtel oder auch Beckengürtelmuskulatur, die es ihnen nicht ermöglicht, z.B. sich zu kämmen oder die Zähne zu putzen. Auch ein Aufstehen aus der Hocke ist oft aufgrund von Schmerzen und Schwäche nicht möglich. Weitere Symptome insbesondere hochaktiver Erkrankungen sind ein Gewichtsverlust, allgemeines Krankheitsgefühl, Depressivität sowie auch erhöhte Temperaturen, Nachtschweißsymptomatik und Schüttelfrost. Insbesondere bei Vorliegen von schwererer Allgemeinsymptomatik sollte unbedingt an das gleichzeitige Vorliegen einer Arteriitis temporalis gedacht werden, insbesondere wenn auch eine hohe entzündliche Konstellation im Labor vorliegt. Die Patienten sollten unbedingt auf das Vorliegen von Kopfschmerzen, Sehstörungen, Schmerzen beim Kauen, als stechend beschriebene Schmerzen in der Zunge und im Pharynx, neuen Ohrgeräuschen sowie auch kardialen Beschwerden befragt werden. Bei einem Teil der Patienten liegt auch eine Beteiligung der Koronararterien vor. Viele der Polymyalgie-Patienten weisen darüber hinaus Gelenkschmerzen auf. Es bestehen Arthralgien der kleinen Gelenke, insbesondere MCP-Gelenke und Handwurzelgelenke, sowie auch der Ellenbogengelenke und vor allem Schultergelenke, häufig mit Bursitis. Bei Vorliegen der Gelenkbeschwerden kann die Polymyalgia rheumatica oft nicht eindeutig von einer seronegativen rheumatoiden Arthritis abgegrenzt werden. Eine Sonderform stellt die sog. late-onset rheumatoide Arthritis (LORA) dar, welche das klinische Bild einer rheumatoiden Arthritis imitiert, aber nicht mit destruierenden Veränderungen einhergeht. Bei der LORA sind Rheumafaktoren und CCP-AK negativ.

Bei einem Teil der Polymyalgie-Patienten kann sonographisch eine Bursitis subdeltoidea und/oder  eine glenohumerale Synovitis nachgewiesen werden, welche häufiger mit einer Polymyalgia rheumatica vergesellschaftet ist und somit eine gewisse Abgrenzung von der rheumatoiden Arthritis ermöglicht.

In 2012 wurden für die Polymyalgia rheumatica EULAR/ACR Klassifikationskriterien definiert:

Obligate Kriterien (ohne Punkte) sind

  • Mindestalter 50 Jahre
  • Bilaterale Schulterschmerzen
  • Erhöhte BKS und/oder CRP Werte

Weitere Kriterien

  • Morgensteifigkeit > 45 Minuten (2 Punkte)
  • Hüftschmerz/eingeschränkter Bewegungsumfang (1 Punkt)
  • kein Nachweis von Rheumafaktor und/oder Antikörpern gegen citrullinierte Peptide (2 Punkte)
  • keine peripheren Gelenkschmerzen (1 Punkt)
  • Sonographie: Bursitis (subdeltoid, trochantär), Tenosynovitis Bizepssehne (1 Punkt, falls beide Schultern betroffen 2 Punkte)

Ein Score >=4 Punkte konnte mit einer Sensitivität von 68 % und mit einer Spezifität von 78 % alle Vergleichspersonen von Patienten mit Polymyalgia rheumatica unterscheiden.

Diese Klassifikationskriterien erfassen also gerade einmal zwei Drittel der Erkrankten und auch ihre Spezifität ist mit 78% eher niedrig. Klassifikationskriterien dienen dazu in Studien homogene und definierte Patientenpopulationen zu haben, sie sind keine Diagnosekriterien. Die Diagnose einer Polymyalgia rheumatica wird nach wie vor klinisch gestellt.Die klinische Symptomatik der Polymyalgia rheumatica kann von verschiedenen Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises vorgetäuscht werden, differentialdiagnostisch sind degenerative Erkrankungen der Schulter, entzündliche Muskelerkrankungen, eine Hypothyreose sowie auch ein ausgeprägter Hyperparathyreoidismus zu nennen. In ca. 0,5 bis 1 % der Fälle ist eine maligne Erkrankung Auslöser und Ursache der polymyalgischen Beschwerden. Insbesondere bei Patienten, die auf die klassische Steroidtherapie schlecht oder gar nicht ansprechen, sollte deshalb eine Tumorausschlussdiagnostik erfolgen.

Spezifische Empfehlungen der S3-Leitlinie zur Behandlung der Polymyalgia rheumatica

(Z. Rheum. 77:429-441, 2018)

  1. Bei Patienten mit PMR sollte unmittelbar nach Diagnosestellung die Therapie mit Glukokortikoiden eingeleitet werden.
  2. Die Dosierung der Glukokortikoid-Therapie soll für jeden PMR-Patienten individuell angepasst werden.
  3. Glukokortikoide sollten oral angewendet werden.
  4. Die Initialdosis sollte bei den Patienten je nach Körpergewicht zwischen 15 und 25 mg Prednison äquivalent pro Tag liegen.
  5. Reduktion bzw. Anpassung: Die Glukokortikoid-Dosis sollte kontinuierlich reduziert werden, basierend auf einem regelmäßigen Monitoring der Krankheitsaktivität, der Laborwerte und des Auftretens von Nebenwirkungen. Erstrebenswert ist es, dass die orale Dosis nach zwei Monaten bei maximal 10 mg Prednisolon pro Tag äquivalent liegt. Danach Dosisreduktion um ca. 1 mg pro Monat.
  6. Behandlungsdauer: Die Glukokortikoid-Therapie sollte für jeden PMR-Patienten individuell angepasst werden.
  7. Die zusätzliche Gabe von Methotrexat sollte frühzeitig in Betracht gezogen werden, insbesondere bei Patienten mit hohem Risiko für Rezidive.
  8. TNF-Alpha-blockierende Substanzen sollten nicht zum Einsatz kommen.
  9. Der Einsatz von Tocilizumab (zugelassen zur Therapie der Arteriitis temporalis und der Riesenzellarteriitis) kann bei alleiniger Polymyalgia rheumatica noch nicht empfohlen werden, es besteht auch noch keine Zulassung.

Diagnostik

Bei Vorliegen einer Symptomatik, die an eine Polymyalgia rheumatica denken läßt,  sollte eine allgemeininternistische Untersuchung einschließlich Laborwerten und insbesondere Entzündungswerten durchgeführt werden. Bei therapieresistenten polymyalgischen Beschwerden sollte eine Tumorausschlussdiagnostik erfolgen. Patienten, bei welchen Verdacht auf eine Arteriitis temporalis besteht bzw. Anhaltspunkte für eine Riesenzellarteriitis (z.B. sehr hohe Entzündungsparameter, Kopfschmerzen, Sehstörungen) vorliegen, sollten ergänzend eine Sonographie der Bauchaorta sowie eine Echokardiographie zum Ausschluss eines Aortenaneurysmas erhalten. Vor langfristiger Steroidtherapie sind eine Osteodensitometrie sowie auch eine Röntgen-Thorax-Untersuchung zum Ausschluss einer stattgehabten Tbc empfehlenswert.

Therapie

Die Polymyalgia rheumatica spricht sehr gut auf eine Steroidtherapie an. Wir behandeln initial einen ca. 70 kg schweren Patienten mit 20 mg Prednison, was typischerweise zu einem raschen Rückgang der Schmerzsymptomatik und der Steifigkeit führt. Oft berichten die Patienten schon nach zwei bis drei Stunden eine deutliche Besserung. Neuere Studien haben gezeigt, dass sogar niedrigere Dosen, z.B. initial 15 mg Prednison, bei vielen Patienten ausreichen, um Beschwerdefreiheit zu erzielen. Allerdings benötigt ein  Teil der Patienten höhere Dosen von bis zu 40 mg Prednison täglich, um eine komplette Remission zu erzielen. Bei diesen Patienten sollte wie bereits erwähnt, eine Tumorausschlussdiagnostik erfolgen und insbesondere auch an das parallele Vorliegen einer Riesenzellarteriitis, z.B. Arteriitis temporalis, gedacht werden. Wir empfehlen bei Patienten mit neu diagnostizierter Polymyalgia rheumatica, eine dopplersonographische Untersuchung der zerebralen und/oder axillären Arterien mit der Frage, ob eine Arteriitis nachweisbar ist, sowie auch eine sonographische Untersuchung der Aorta, da in einigen Fällen eine Aortitis mit konsekutivem Bauchaortenaneurysma vorliegen kann. Dies ist deshalb für die Therapieentscheidung von Belang, weil beim Vorliegen einer Riesenzellarteriitis/ Arteriitis temporalis in der Regel eine höher dosierte Steroidtherapie notwendig ist und die Therapie über einen längeren Zeitraum verabreicht werden sollte. Die Positronenemissionstomographie (PET) ist eine sensitive Methode, um eine Vaskulitis großer Gefässe darzustellen, diese kann aber aufgrund der Kosten nur beschränkt zum Einsatz kommen. Manche Autoren fordern bei Arteriitis temporalis Patienten eine lebenslängliche Steroidtherapie mit niedriger Dosis, um prophylatisch einem Rezidiv (potentiell mit der Gefahr der Erblindung oder einer zerebralen Ischämie) vorzubeugen. Eine begleitende ASS-Therapie bei nachgewiesener oder vermuteter Arteriitis hilft, eine Ischämie zu verhindern.

Patienten mit alleiniger Polymyalgia rheumatica ohne Anhaltspunkte für eine Arteriitis, die auf eine initiale Steroidtherapie gut ansprechen, werden mit reduzierter Kortisondosis weiterbehandelt. Ein übliches Vorgehen ist dabei, die Prednison-Dosis um 2,5 mg monatlich zu reduzieren. Ab einer Dosis zwischen 7,5 und 10 mg empfiehlt sich je nach klinischer Symptomatik eine langsamere Dosisreduktion, z.B. in 1 mg-Schritten pro Monat. Somit erstreckt sich die Therapie auf einen Zeitraum von ca. einem Jahr. Die Britische Gesellschaft für Rheumatologie schlägt ein Schema mit 15mg/Tag- 12,5 – 10 – 9 – 8 – 7- – 6 mg/Tag Prednison jeweils für drei Wochen vor, dann Erhaltungstherapie mit 5mg/Tag. Damit sei die Rezidivwahrscheinlichkeit am geringsten.

Bei Patienten, die unter Reduktion der Steroiddosis wieder eine klinische Symptomatik entwickeln und Prednison-Dosen oberhalb der Cushing-Schwelle benötigen, können Basismedikamente zum Einsatz kommen. Die Datenlage ist für Methotrexat am günstigsten.  Es muss allerdings einschränkend darauf hingewiesen werden, dass weder für Methotrexat noch für ein anderes Basismedikament ein steroideinsparender Effekt bei der Polymyalgia rheumatica eindeutig bewiesen wurde, weil aussagekräftige und belastbare Studien fehlen. Es gibt Studien zur Effektivität von TNF-Blockern, welche allerdings keinen klinischen Benefit zeigen konnten, deshalb wird in den Leitlinien von einer anti-TNF abgeraten.  Aktuell wird auch der Interleukin-6-Blocker Tocilizumab (RoActemra) im Rahmen von klinischen Studien untersucht, auf welchem wegen seiner stark CRP senkenden Effekte gewisse Hoffnungen ruhen. Tocilizumab ist bei gleichzeitiger Riesenzellarteriitis indiziert und auch für diese Indikation zugelassen. Erfahrungsgemäß sprechen diese Patienten auch sehr gut an, auch was die Polymyalgie angeht.

Priv. Doz. Dr. Bernhard Heilig
Praxis für Rheumatologie und klinische Immunologie
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